„Es existieren sehr komplizierte Maschinen auf dieser Welt, aber das Theater ist die Komplizierteste von allen…”
Michail Bulgakow, Theaterroman
Aufzeichnungen eines Toten
Seit achtundzwanzig Jahren, seit meinem zwölften Lebensjahr, bin ich ein Teil der komplizierten Maschine namens „Theater“. Wenn man sich diese Maschine als ein Auto vorstellt, so ist die Karosserie russisch: einfach, robust, belastbar. Eine Schauspielausbildung nach Stanislawski und Wachtangow bildet nicht nur die Grundlage meines Theaterverständnisses, sondern bleibt nach wie vor eine Schatzkiste aus der ich meine Gedanken und Ideen schöpfe. Seit 1997 hat mein Theaterauto einen neuen Motor bekommen. MADE IN GERMANY. Genauer gesagt MADE IN EAST GERMANY.
Seit meinem Regiestudium and der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ arbeite ich als freischaffender Regisseur. Nun fährt das Auto durch die Autobahnen, Bundes – und – Landstrassen. Wohin führt die Reise? Keine Ahnung. Unterwegs habe ich viel schlechtes Theater gesehen: viele aufgeblasene, langweilige Inszenierungen. Viele egoistische, selbstherrliche Ansätze, Nachahmungen, Nachahmungen der Nachahmungen, Lügen, Verrat, Gedankenklau, Ausnutzung und Ausbeutung. Ganz wenig Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Fairness bei der Bezahlung und im Umgang, Ideale und Prinzipien. Nun stehe ich hier, in Deutschland, ein 40 jähriger Schauspieler und Regisseur, der mehr als zwei Drittel seines Leben dem Theater gegeben habe, und schaue mir dieses gefeierte, marode, auf Lügen, Beziehungen und Subventionen aufgebautes Theatersystem und frage mich: Wo ist da das Theater? Was ist
überhaupt das Theater? Eine Maschine? Ein Kollektiv der Gleichgesinnten? Eine Sippschaft? Mafia? Weltanschauung?
Für mich persönlich war und bleibt das Theater ein Prisma, durch die ich die Welt betrachte und mit ihr kommuniziere. Die Welt und das Leben in ihrer Komplexität und Vielfalt. Mein Theater kann mir keiner nehmen. Aber ich habe einfach keine Lust mehr, ein Teil des Systems zu sein mit 08/15 Inszenierungen, 08/15 Autoren, Regisseuren und Schauspielern und mit 08/15 Aussagen und diesem ganzen Verwaltungsapparat, der wie ein Parasit immer größer und satter wird, während die aufrichtige, ehrliche, namenlose Künstler hungern müssen. Ich habe keine Lust um die minimale Förderung betteln zu müssen, ich will nicht jemanden in der Juri kennen oder ficken, um an die Förderung zu gelangen, ich will nicht meine Gedanken und Ideen der Förderungsrichtlinien anpassen! Dieses System kann mich mal! Und wer sich durch meine Worte verletzt oder angesprochen fühlt, der kann mich mal sogar kreuzweise.
Vollbremsung. Das Auto bleibt am Rande der Strasse stehen. Zu Fuß geht es jetzt weiter.
photo taken at Pankow, Sep 2012
© petrov ahner