Mitte der achtziger Jahre, die Mauerstadt Berlin empfängt mich, 40kg politischen Häftling, mit offenen Armen. Westberlin hat die Größe und ist sich nicht zu fein, Spinner wie mich aufzunehmen, zu fördern und ihnen das zu geben was sie vorher nicht kannten: Freiheit! Und das in einer von der russischen Besatzungszone eingemauerten Stadt. Ich lebe diese Freiheit seither nirgends mehr auf der Welt als in Berlin. Ich beschäftige mich mit der Stadt, setze mich mit ihr auseinander. Gewohnt im Widerstand zu leben, ist es gerade Berlin mit all seinen Unterschiedlichkeiten die mir genug Reibungspunkte gibt, um meine Persönlichkeit nicht verändern zu müssen.
Heute weiß ich, ich habe mich mit verändert. Berlin, die Stadt der Veränderung seit ihrem Bestehen. Als die Mauer fällt, entstehen neue Subkulturen wie Techno in üblicher Berlinmanier: Bigger is better! 1000 Berlin 36, der Sonderbezirk wird zur Tourimeile…Ganze Ostbezirke wie Prenzlauer Berg oder Friedrichshain werden von der ersten Welle schwäbischer Revolutionäre geflutet. Der Fall der Mauer eröffnet tausende Möglichkeiten, die wie nirgends sonst genutzt werden können. Aberhunderte Galerien, Clubs und was weiss ich nicht entstehen.
Als Berliner nimmt man das wahr ohne es wirklich zu nutzen. Man bewegt sich mehr oder minder in seinem Kiez, Ausflüge in einen anderen Bezirk wollen geplant sein. Nach Zusammenlegung der Bezirke, (deren zahlenmäßigen Halbierung) kann ein einzelner Neu-Bezirk ohne Weiteres auch mal eine Million Einwohner fassen. Der Versuch, den Ost- und den Westteil der Stadt zu einem Ganzen werden zu lassen, prägt den Begriff Big B. Meines Erachtens nicht übertrieben. Welche Stadt in Europa wäre vergleichbar? Ich höre immer wieder wie Wahnsinn Berlin ist. Wahnsinn der Größe wegen, Wahnsinn aufgrund der Veränderungen, die uns nicht immer gut scheinen und es augenscheinlich auch nicht sind wie zum Beispiel die Schließung alternativer Theater, Clubs und anderer Kultureinrichtungen, oder die Geldbündel schwingenden Provinzaffen, die den Prenzlauer Berg gekauft haben nur um nun die nächsten Bezirke wie zum Beispiel Pankow in Besitz zu nehmen. Ich bin mir sicher, dass Berlin auch das wegsteckt so wie bisher alle Veränderungen, die überall kommen, von außen sowie von innen. Mir fällt diesbezüglich die Aussage Albert Einsteins ein: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
Big B beherbergt heute kaum noch Industrie, Dienstleistung ist das, womit circa die Hälfte der Leute hier versucht, sich über Wasser zu halten, die andere Hälfte studiert und so wird naturgemäß alle paar Semester Berlin wieder mit neuen Leuten geflutet, die fasziniert sind von dieser Stadt mit all ihren Möglichkeiten, der einzigen Stadt in Deutschland, die ich wirklich multikulturell erlebt habe. Ein Großteil der im Affekt Begeisterten ist die Stadt nach ein paar Wochen oder Jahren zu laut, zu dreckig, zu anonym und sie gehen zum Glück zurück in ihre Dörfer. Zum Geld verdienen kommt man zu 90% wohl nicht hierher, denn dazu ist Berlin traditionell zu arm.
Ich lebe nun seit fast dreißig Jahren hier und davon gut 25 in Westberlin. Ein Leben ohne Berlin ist für mich nicht vorstellbar, denn das Leben, der Puls der Zeit, den diese Stadt, ob es einem gefällt oder nicht, rüberbringt, sind in Deutschland einzigartig. Die einzige Stadt der Welt, in der ich Gänsehaut bekomme, wenn ich von einer meiner Reisen zurückkehre. Ich lebe, arbeite und produziere in Berlin, ich bin dieser Stadt nicht nur dankbar sondern auch stolz darauf, mittlerweile ihr Sohn zu sein….um es mit JFK’s Worten zu sagen :” ich bin ein Berliner.”
photo taken at Thom’s apartment, Tempelhof, Sep 2012
© by petrov ahner