Matt Grau, Künstler

Matt Grau, Künstler

Matt Grau, Künstler

Nix mit Tourihotspots, Baudenkmälern, Gebäuden oder Türmen – der Mondhügel soll es sein!

Im September 2020 bat mich Petrov Ahner zu Portraitaufnahmen. Einen Ort in Berlin mit einem persönlichen Bezug könne ich gerne auswählen. So dachte ich sofort an den Mondhügel mit Blick auf den Görlitzer Park, auf die Emmaus-Kirche in Kreuzberg und den Fernsehturm in Mitte. Berlin West und Ost. Die große Stadt. Wie der Mond es sieht, wenn er aufsteigt.

Unseren Mond, den ich zusammen mit Freund*innen sowie sogenannten Feierfreudigen und vor uns aufgereihten Foto- und Astrofans auf dem überfüllten Mondhügel am 27. Juli 2018 in einer totalen Mondfinsternis sozusagen blutrot scheinen sah und ebenso den Mars, der in einem noch intensiveren Rot in unmittelbarer Nähe zum Mond prägnant erschien. Auf dem Mond fand zeitgleich eine totale Sonnenfinsternis statt, verursacht von der Erde. Diese Konstellation soll es erst in etwa 105 000 Jahren wieder geben. Ein Jahrhundertausend-Ereignis!

Ich überlegte, wie wohl die Stimmung vor 20-30 Jahren in den 1990er Jahren bei so einem fulminanten Himmelsspektakel auf dem Mondhügel gewesen wäre? Ein paar Grüppchen, ein kleines Feuerchen, Alkohol und Drogen, Hundegebell, womöglich noch ein paar Bongos, Gitarren, Akrobatik und Jonglage, aber keine Smartphones, Bluetoothbeschallung und „Gefällt mir, ich bin hier”- Standortbestimmungen, die das Erhabene des kosmischen Moments konterkarieren.

” Vom Mondhügel siehst Du nach oben und nach unten. Unten liegt Dein Leben, Deine Welt, Deine Erinnerungsspuren. Aufbruch, Aktion, Absturz. Wieder Aufbruch. Kreuzberg eben. Weit mehr als 30 Jahre. Oben schwarze und weiße Sterne. Und der Mond? Und der Mond raucht Marihuana.
(Herbst in Peking).

Das ist heute anders, vieles ist anders auf dem Mondhügel, im Görlitzer Park und unserer Welt, die mal SO 36 hieß und eine Lebensentscheidung schien. Aber der Kotzkragen, der platzt, macht nur Bluthochdruck oder Schlaganfall. Du machst mit ´Drea, Deiner Frau, lieber Songs oder Kunst oder T-Shirts. ‘Alt-Kreuzerger. Vorsicht Explosionsgefahr!’
Gegen den Ausverkauf unserer Welt stemmen wir uns, gegen Investoren, Gentrifizierung, Polizeigewalt, Vermüllung & Touriströme. Vom Mondhügel aus sieht das fast weit weg aus, er ist ein Ruhepunkt in einer kollabierenden Welt.
Aber wenn man ihn verlässt, fängt die Hektik & Panik wieder an. Nichts bleibt wie es war. Die letzte Schlacht sind wir! “
(Erik Steffen)

Bis in die 2000er Jahre ging ich immer wieder gerne nachts in den Görlitzer Park und auf den Mondhügel. Etliche Vollmonde habe ich bestaunt. Manchmal alleine, manchmal mit Bekannten und Unbekannten. Meist konnte man alleine dort sitzen und zum Mond hoch schauen. Selten kam die Frage, ob alles ok mit einem sei und auf das Bejahen und den Hinweis, es sei Vollmond zu bestaunen, wurde dann gefragt, wo es denn was zu rauchen gäbe… Alles klar…

Unten am Mondhügel, machte Trashqueen ADLER A.F. Performance, eine der Künstlerinnen aus dem Kunsthaus Tacheles, von dem ein Container mit Siebdruck Utensilien im Görlitzer Park steht… und ich bemalte und bedruckte meine Krawatten und Hemden mit Laura Polke, die, wie Petrov im Tacheles ihre Zeiten erlebte. Berliner-Kunst-Freundschaften, wie aus einer ganz anderen Zeit.

Dieser Mondhügel war der Lieblingsplatz von unserem Freund Tim Pernitzsch, dem Freischneider. In seiner Freischneider Loge gab es beim Kauf eines seiner Kunstwerke einen Haarschnitt dazu, so das Geschäftsmodell, um auch ohne Meisterbrief einen Laden führen zu können. Auch ein Tausch Kunstwerk-Haarschnitt war im Angebot. Tim war ein Multiplikator, bei ihm trafen sich interessante, neugierige Menschen zu anregenden Kunstgesprächen, zum Philosophieren wie zum Albern; dazu lief dann Musik von Asmus Tietchens, Tuxedomoon und Basic Channel. So kam es auch, dass Petrov und ich uns bei Tim kennen lernten. Alles sprach für eine Fotosession auf dem Mondhügel. Eine Woche nach Tims 8. Todestag. Alles für die Kunst & Freiheit!

Text by Matt Grau & Erik Steffen,  Berlin, September/Oktober 2020

Photo taken at Görlitzer Park, Kreuzberg, Sep 2020
© petrov ahner