“So geht es nicht weiter mit der Provokation Raum Kotti !
Die Situation am Kottbusser Tor in Kreuzberg hat in letzter Zeit bundesweit Aufmerksamkeit ausgelöst. Auch wenn die oft reißerische Berichterstattung den falschen Eindruck erweckt, der „Kotti“ sei eine Art Kriegsgebiet, nimmt die Kriminalität an diesem Ort, ebenso wie in anderen Teilen von Kreuzberg und Friedrichshain, bedrohliche Züge an. Wir als Gewerbetreibende am Kottbusser Tor haben über Jahrzehnte in einem sozial nicht immer einfachen Umfeld gelebt. Unsere Geschäfte zeugten von großer Initiative und haben das Viertel stabilisiert. Jetzt allerdings werden intaktes Zusammenleben und Sicherheit im Kiez stark in Mitleidenschaft gezogen, weil kriminelle Banden Angst und Schrecken verbreiten. Seit über einem Jahr sind Raub und Körperverletzung buchstäblich an der Tagesordnung; Frauen und Homosexuelle werden sexuell belästigt. Wer „angetanzt“ wird und sich wehrt, muss mit Schlägen und Messerstichen rechnen. Teile der Täter haben unmittelbar nach den Anschlägen in Paris schamlos vor Freude auf der Strasse getanzt – die islamistische Tendenz birgt ein zusätzliches Drohpotential.
Betroffen sind Anwohner, Gewerbetreibende und Gäste. Mittlerweile führt die ständige Vorsicht zu einer regelrechte Einschränkung der Freiheit – und das in einem Viertel, in dem die individuelle Freiheit immer ein hohes Gut gewesen ist.
Schon häufiger haben Anwohner und Gewerbetreibende mit Unterschriftensammlungen gegen die unzumutbaren Umstände protestiert. Wir haben mit Verantwortlichen im Bezirk und Senat das Gespräch gesucht, aber wir sind überwiegend auf Ignoranz gestoßen oder mit Beschwichtigungsversuchen abgespeist worden.
Wir haben das Gefühl, dass wir hingehalten werden. Wenn die Situation sich zuspitzt wie etwa nach einer tödlichen Selbstjustiz gegen den Drogenhandel im nahegelegenen Görlitzer Park, dann sind die ad hoc stattfindenden Großeinsätze der Polizei nicht angemessen und situationsorientiert. Oftmals unterscheiden diese Einsätze nicht zwischen Tätern und jungen Männern aus der Nachbarschaft, die wegen ihren „südländischen Typs“ unter Verdacht geraten. Zudem wird selten über die Konsequenzen von Einsätzen nachgedacht – wie die Verschiebung des Drogenhandels an andere Orte, wo dann neue Probleme entstehen.
Die Amtierenden auf Bezirks- wie auch Senatsebene wirken dabei nicht nur realitätsfern, zwischen der grünen Bezirksregierung und dem CDU-Innensenat
gibt es einen andauernden Konflikt über politische Ziele und Maßnahmen, die hier penetrant auf dem Rücken der Bewohner ausgetragen wird: zumeist durch Untätigkeit.
Im Hinblick auf vergleichbare Vorkommnisse und öffentlich agierende Strukturen in Hamburg, Düsseldorf oder Köln drängt sich der Eindruck auf, als würden solche Zustände von der Politik absichtlich in Kauf genommen. Denn das kriminelle Verhalten von wandernden Banden, die nach EU-Recht im Schengen-Raum frei bewegen, wurde genutzt, um der „Willkommenskultur“ ein Ende zu setzen. Seitdem wurden hektisch die Gesetze verschärft, Rücknahmeabkommen geschlossen mit Diktaturen und schnellere Abschiebungen angedroht.
Es scheint aber eine Rolle zu spielen, wo Kriminalität auftritt. Wir müssen davon ausgehen, dass in den sogenannten bürgerlichen Vierteln bei ähnlichen Problemen schnell und effektiv vorgegangen würde, während die Geschäftsleute mit Migrationshintergrund in einem traditionell vielfältigen Viertel offenbar nicht als bürgerlich wahrgenommen werden. Aber was wird geschehen wenn sie zu Selbstjustiz greifen? Dann ist von „ethnischen Auseinandersetzungen“ die Rede. Die passen wiederum ins oben genannte Raster aus Polizeiverhalten und politischem Interesse: In diesen Vierteln gibt es ohnehin keinen zivilen Umgang …
In Kreuzberg selbst wird die Thematisierung der Probleme von der unkritischen und ideologischen Haltung von manchen Parteivertretern, Mitgliedern von Lobbyvereinen oder linken Aktivisten unterschiedlicher Herkunft verschleppt. Vor allem gibt eine falsche Angst davor, die klare Benennung der Missstände führe zu mehr Rassismus. Tatsächlich aber sorgen Verschleierung und Verschweigen für Verdächtigungen aller Art.
Was wir dringend benötigen sind gemeinsame Handlungsstrategien, die wiederum nur dann entstehen können, wenn wir die Vielfalt der Stimmen aus dem Kiez als Ressource in die Lösung einfließen lassen. Wir fordern weder Verschärfung der bestehenden Gesetze noch schlicht mehr Polizisten, sondern vor allem Gleichbehandlung. Wir fordern, dass sich die Akteure ohne Vorurteile und Scheuklappen an einen Tisch setzen.
Es kann nicht sein, dass Rechtlosigkeit in den „guten“ Teilen der Stadt bekämpft wird, aber dort wo wir leben, offenbar hingenommen wird. So geht es nicht weiter.”
Photo taken at Café Kotti, Kottbusser Tor, May 2017
© petrov ahner