Thomas Wörtche, Publizist

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Chamissoplatz

Ich mag den Chamissoplatz, ich bin gern dort, seit Jahrzehnten. Keine Ahnung, warum. Ich habe kein besonderes Verhältnis zu Adalbert von Chamisso (ziemlich interessanter Vogel, aber das reicht nicht, an der Stelle), den einschlägigen Film von Rudolf Thome habe ich nie gesehen und das Gründerzeitensemble ist natürlich sehr schön, aber tut hier nichts zur Sache. Die quäkenden Kinder auf dem Spielplatz nerven – wenn sie nicht da sind, ist es schöner dort; wenn sie da sind, ist halt Leben und Tumult. Auch okay.

Trotzdem komme ich oft hin und das hat nicht unbedingt mit dem „Heidelberger Krug“ zu tun, der ist zufällig auch dort und wäre auch mein Lieblingshangout, wenn er, sagen wir in der Nostitzstrasse, wäre. Lieblingsplätze sollen ja was aussagen. Über Menschen. Ich bin da skeptisch. Oder überlasse es anderen herauszufinden, was ausgerechnet der Chamissoplatz über mich sagt, wenn das irgendwen überhaupt interessiert. Ich weiß es ja selbst nicht.Es ist einfach so. Irgendwann habe ich ihn gefunden. Und dann hält er sich seit grauer Vorzeit.

Hat vermutlich mit dem Wort „Lieblings-„ zu tun. Wie in Liebe. Obwohl ich nur Menschen lieben kann, keine Artefakte. Die können mir gefallen, ich kann sie schätzen, toll finden, mit Gründen. Den Menschen aber, den ich liebe, liebe ich ja nicht „weil“ oder „trotz“, sondern qua Existenz, alles andere wäre Buchhaltung. Und mit meinem Lieblingsort, obwohl ich ihn nicht in diesem Sinne liebe, funktioniert das analog. Alles andere sind Rationalisierungen ex post. Die können Spaß machen, treffen aber den Kern nicht. Lassen einen aber notfalls gut aussehen, weil: guter Geschmack, Sensibilität für den genius loci, Reminiszenzen an romantische Stimmungen, Verständnis für Architektur, historische Bezüge, soziologischer Scharfsinn. Jaja, sicher, auch, je mehr davon, desto eminenter ist man ja selbst oder will so gesehen werden. Kann man aber auch an tausend anderen Orten haben, auf dieser Welt. Natürlich „ist da was“, zwischen dem Chamissoplatz und mir. Es fühlt sich gut an und richtig. Besser und richtiger als alles andere. Und nur darum geht´s. Letztendlich.

Dass dieser Lieblingsort in Berlin liegt – klar. Ich könnte, wenn ich müsste, sofort in New York City leben, in Wien, in London, in Montreal, in Paris oder in Barcelona, ohne mich fremd zu fühlen. Aber nur, wenn ich müsste. Natürlich ist Paris schöner, aber Berlin ist schöner, ich glaube, Marcel Ophüls hat das mal so (ähnlich) formuliert. Auf jeden Fall ist Berlin schön hässlich. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Such is life, así es la vida. Und das lässt einem Berlin keine Sekunde vergessen, 24/7.

Photo taken at Chamissoplatz, April 2018

© petrov ahner