Neulich als noch Sommer war, habe ich kurz nach Sonnenaufgang auf eine Freundin am Hermannplatz gewartet. Sie war etwas spät dran und ich wusste, dass das freie Wlan in der Mitte des Platzes neben der hässlichen Statue am stärksten ist. Als ich mich auf den Sockel setzen wollte, erblickte ich einen riesigen, mit hoher Wahrscheinlichkeit menschlichen Kackhaufen. Fliegen schwirrten herum und ich verzichtete doch auf das schnelle Internet und setzte mich weit weg an den Rand neben dem Unkraut und der Absperrung zur Straße.
Hier, im Zentrum von Neukölln und zugleich auch von Berlin, findet man wirklich alles: Wohlstandkids kaufen ein paar Schritte weiter ihre Wochenration Hanf; manchmal jammen Amateurmusiker und Kinder tanzen dazu; eine Kiste mit 5 Kg Äpfel kostet um 18Uhr zwei Euro auf dem Markt; eine Studentin liest Slavoj Žižek und zieht dabei Grimassen; alte Leute kauen auf Curry-Wurst und rennen dann zu Karstadt, um noch ein Stück Sahnetorte für den Angebotspreis zu ergattern; Polizisten kontrollieren jene, die nicht so aussehen wie „normale Menschen”; syrische Familien reisen von Wittenau an, um eine bestimmte Sorte Tee oder tiefgefrorene Okra-Schoten zu kaufen; Dragqueens stöckeln an einem vorbei; die verklebten Tasten des Bankautomaten im U-Bahnhof bedient man nur mit einem Taschentuch; Zeugen Jehovas warten auf Kunden und langbärtige Salafisten verschenken unbehelligt Bücher über “den wahren Islam”, Verfassungsschützer sitzen daneben und schauspielern, dass sie auf ihren Handys doch nur Candy-Cash-Saga spielen wollen.
Wir leben in einer Großstadt, so ist das hier. Es ist nicht perfekt, es ist nicht besonders schön, es ist einfach so wie es ist. Die meisten hier akzeptieren das so. Und diese gechillte Akzeptanz verleiht einem das fabelhafte Gefühl von Frieden und Freiheit.
Neulich sagte mir jemand aus der weit entfernten Wohlstandsparallelgesellschaft, er traue sich nicht zum Hermannplatz, steige dort nie aus der U8 aus, weil er so viel Angst habe. Nach einigen Nachfragen gab er zu, dass er eigentlich nie Richtung Neukölln fahre. Aber egal, denn er sei besorgt. Ich höre diese Sätze regelmäßig und jedes Mal bleibt mir eigentlich nur eine Antwort übrig: Bleib ruhig weg und mach kein Auge.
Photo taken at Hermannplatz, Oct 2017
© petrov ahner