Ich habe in recht vielen Bezirken gelebt – Schöneberg, Moabit, Pankow, Prenzlberg, Neukölln –, aber nirgendwo gefiel es mir so gut, wie in Charlottenburg. Da befindet sich zwischen Spandauer Damm und Kaiserdamm, Schloßstraße und Sophie-Charlotten-Straße ein Künstlerkiez, der zu den ältesten Berlins zählt, und zu meinem neuen Zuhause geworden ist. Hier wohnt das wahre Berlin, denn gefühlt hat sich hier seit hundert Jahren nichts geändert, was vermutlich daran liegt, dass es hier – anders, als in umliegenden Bezirken, die vom Zeitgeist aufgefressen werden – kaum etwas gibt, was man gentrifizieren könnte – der perfekte Ort für Menschen mit eigenen Ideen, die ihre Ideen auch umsetzen, und sich vom Hokuspokus Ostberlins nicht beeindrucken lassen.
Würde man es auf den Raum umrechnen, gäbe es wenig Orte, die derart viele Künstler und Architekten versammeln. Unweit von meiner Wohnung befindet sich Schloss Charlottenburg. Es strahlt dieselbe Beständigkeit und Selbstsicherheit aus, wie die dichte Vegetation im Kiez: Lietzenseepark, Schustehruspark, Schlossgarten Charlottenburg – alles Energiespender für mich. Die Danckelmannstraße wird von Bäumen ummantelt, die meiner quecksilbrigen Seele Halt verleihen, und wenn ich allmorgendlich durch das durch Baumkronen schimmernde Gold der Sonne spaziere, fühlt es sich fast so an wie eine freundliche Umarmung.
In der Seelingstraße befindet sich der »Brotgarten« – die vielleicht beste Bio-Bäckerei Deutschlands. Hier werden Brötchen noch wie zu Omas Zeiten gebacken, und nahezu immer stehen die Leute hier Schlange. Einige kommen seit über vierzig Jahren hierher, und sollte ich eines Tages doch nicht nach Tokio ziehen, wird man mich hier vermutlich noch sehr lange antreffen. Ich mag die Unbeschwertheit, in der Leute im Brotgarten einander begegnen – es ist wie auf dem Dorf, und ich vergesse, dass ich mich im Herzen einer Millionenmetropole befinde.
Photo taken at Schloss Charlottenburg, Sept 2017
© petrov ahner